«Ständig sind es die Christen, die irgendein Problem mit dem Sex haben.» Dieser Satz steht in einem Artikel von «Idea Spektrum», einer freikirchlich orientierten Zeitschrift. Die Aussage ist aber nicht eine Mahnung an die Gläubigen, vielmehr fasst der Autor die Aussensicht auf die frommen Christen zum Thema Sex zusammen. Die wirkliche Haltung der Zeitschrift gibt der Titel wider: «Warum Sex heilig ist.»
Fromme Christen erklären also Sexualität für heilig. Da die Bibel erstaunlich wenig zu diesem «heiligen Thema» schreibt, hält sich der Autor an den Apostel Paulus, der den menschlichen Körper als Tempel des Heiligen Geistes bezeichnet. Daraus leitet der Autor ab: «Man kann nicht den Heiligen Geist im Tempel seines Leibes haben und mit dem gleichen Leib mit einer Prostituierten schlafen.» Sex gehöre in den Bereich, «der die Sphäre des Göttlichen berührt». Es gebe keine vollkommenere Hingabe als das ausschliessliche «Ja und für immer» für seinen Partner. «Für dieses totale Ja gibt es das Wort ‹Ehe›».
Wer mit einem solch überhöhten Anspruch Jugendliche religiös erzieht, baut das Scheitern gleich mit ein. Die Sexualität wird zu einem zentralen religiösen Aspekt erhoben und moralisch aufgeladen. Viele fromme Christen beurteilen die Welt ausschliesslich aus ihrer religiösen Warte. Damit stürzen sie ihre Kinder in einen seelischen Zwiespalt, der fatale Folgen für ihre seelische Entwicklung haben kann. Denn die meisten erleben in der Pubertät wohl das grandiose Scheitern vor Gott. Sie werden aus ihrer subjektiven Sicht zwangsläufig sündig, denn der Keuschheitsanspruch überfordert die meisten Menschen. Damit bereiten die strengen Christen das Terrain vor, das die Jugendlichen zu Sündern macht. Schuldgefühle sind noch die geringsten Folgen. Die Angst, am jüngsten Tag von Gott deswegen in die Hölle gestossen zu werden, kann traumatische Konsequenzen haben.
Ein behutsamer und verantwortungsvoller Umgang mit der eigenen Sexualität ist zweifellos erstrebenswert und sinnvoll. Wird sie aber religiös aufgeladen, wird sie zur Belastung. Die Triebe müssen radikal unterdrückt werden, schliesslich ist auch die Onanie in diesem religiösen Milieu eine Sünde. Somit wird die Sexualität zum beherrschenden Thema, das eine gesunde und unverkrampfte Haltung zu sexuellen Fragen erschwert. Es besteht auch die Gefahr einer Fixierung und schliesslich eines Zwangsverhaltens. Eigentlich sollten dies fromme Christen selbst am besten wissen. Trotz des hohen moralischen Anspruchs kommen in Freikirchen sexuelle Übergriffe wie in der katholischen Kirche wohl überdurchschnittlich häufig vor, wie die Erfahrungen zeigen. Die Gründe dafür lassen sich nicht in der Bibel nachlesen, sondern in Psychologiebüchern: Wer seine Triebe unterdrückt, macht die Sexualität zu seinem Feind. Dabei ist sie eine existenzielle Lebensenergie, die das Überleben der Menschheit sichert.
Man kann nicht 2000 Jahre alte Dogmen predigen und die modernen Erkenntnisse der Psychologie und Sexualkunde ausser Acht lassen. Wer die Natur des Menschen missachtet, wird von ihr bestraft. Denn sie ist in der Regel stärker als alle religiösen Gebote.
Der Beitrag Sex als heiliger Akt erschien zuerst auf Hugo Stamm.